Kapitel aus dem Roman "HONEY" / Vorschau
Wattestäbchenmantel (nur geträumt)
Ich hätte mir vorhin auf der breiten Festungsmauer vielleicht doch ein kurzes Nickerchen genehmigen sollen. Hätte von süßen, wattigen Wolkentieren geträumt. Einer springenden Katze, einem rollenden Maulwurf ...
Ich bin unter Tage. Ich bin ein Maulwurf. Kein kleiner. Ein großer Maulwurf, so groß wie ich als Mensch. Ich habe einen Helm auf, wie sich das unter Tag so gehört. Safety first.
Ich stehe in einer Güterlore, die randvoll mit Konfetti gefüllt ist. Der kleine rostige Transportwaggon rollt quietschend und an den Gleisen schleifend langsam voran. Ich halte mich mit meinen spitzen, rosaroten Krallen am Wagen fest. Links und rechts über mir hängt eine bunte Glühbirnengirlande, die den Weg weist. Den Schienen und mir, wo es lang geht.
Sieht schön aus. Eine Party in den Minen? Die Lore rollt langsam aus und stoppt vor einem Schild, auf dem steht: „Ende der Gleise.“ Schade eigentlich. Gemütlich und sehr beschaulich in meinem Konfettibad.
Ich steige aus. Pfoah. Meine Füße sind riesig. Die Behaarung ist nicht neu, die Krallen jedoch großes Kino. Das geht auch. Ich schaue mich um. Hinter mir sind die roten, blauen, gelben und grünen Lichter an der Decke erloschen. Dunkelheit. Da war mal was. Da ist nichts mehr.
Aus der anderen Richtung höre ich dumpf und leise einen bekannten Sound. Eine Melodie, die ich kenne. Diesmal komme ich darauf. Tosca. „Mango di Bango“ heißt der Song. Mag ich. Lässig hier. Die Gleise sind hinter der Hinweistafel tatsächlich aus. Grober Kiesweg, gedämpftes Licht von der Decke. Wieder eine Girlande, aber keine bunten Lichter, und nur einzelne davon leuchten, manche flackern unruhig und machen den erdigen Plafond und die stützenden Holzbalken ganz nervös.
Ich marschiere mal los. Was soll ich denn sonst machen? Die spitzen Steine machen meinen hornhäutigen Sohlen nichts aus. Diese Füße. Pfoah und pfoah. Für jeden Fuß ein Pfoah. Nach vorne ist nichts zu sehen. Tunnel ohne Ende, oder wie? Die Musik wird aber lauter. Ein gutes Zeichen.
Der Schacht macht eine leichte S-Kurve. Danach geht es wieder gerade aus und weiter vorne, jetzt doch ein kleiner, heller Punkt. Vielleicht geht es da raus ins Freie. Will ich das als Maulwurf überhaupt? Mmhhh ... patsch, patsch, weiter mit meinen riesigen Latschen. Der helle Punkt wird größer. Da steht jemand.
Weiß, groß, breit. Was oder wer wartet da vorne auf mich? Sieht aus wie, wie, wie ein Michelin-Männchen, oder Yeti? Ui, ui, ui. „Mango di Bango“ dröhnt jetzt in voller Lautstärke. Je deutlicher die weiße Gestalt zu erkennen ist, umso langsamer werden meine Flossenschritte. Patsch … patsch …what the f+++?
Vor mir steht eine Frau in einem Wattestäbchenmantel. Ein großer, fluffiger, kuscheliger Mantel aus tausenden einzelnen Wattestäbchen. Sie hat ihre Fäuste seitlich in ihre breiten Hüften gestemmt und fixiert mich mit ihren finsteren Augen. Darüber eine buschige Monobraue, wie eine beleidigte Krone. Not amu- sed sowieso.
Neben ihr hängt eine Schnur mit einem runden weißen Knauf von der Decke. Sie zieht daran. Pft. Die Musik ist aus und die Stimmung im Keller. Mit einem osteuropäischen Akzent und einem schwer verständlichen Englisch-Französisch-Kauderwelsch ruft sie mir mit sonorer Stimme vehement zu:
„Is private. No trespass. Go, go away. Not wanted.“
Ja, schön und gut, unheimliche Frau. Ich habe ja auch keine Ahnung, wie ich hierher geraten bin und was ich hier verloren habe. Go away gern, aber wo away hin? Ich hebe unschuldig meine breiten Maulwurf-Schultern und versuche ihr irgendwie klarzumachen, dass ich ja gar nicht hier sein will.
„Dujuno mi abl pas?“
Versteht sie nicht. Spaß auch nicht. Verstehe ich nicht. Ihre Monobraue sinkt immer tiefer, ihr Blick wird noch finsterer und not amused am absoluten Tiefpunkt. Ui, ui, ui. Den Lustigen packe ich artig wieder ein.
„Excusez-moi. Sorry Ma´am. Way out?“
„Mon dieu!!! Merde!!!“
Ja, das verstehe ich auch. Wie geht es jetzt weiter? Vorhin in meiner Konfettikiste habe ich mich wohler gefühlt. Dieser Mantel. Mann, Mann, Mann (Frau, Frau, Frau?). Tosca kann sie auch wieder anmachen. Nichts Heimeliges mehr hier im Untergeschoß. Echt merde.
Sie greift nach dem weißen runden Knauf und zieht erneut an der Schnur. Pft. Licht aus. Pft. Sie knipst das Licht wieder an und wir stehen. Ja, wo stehen wir denn? In einer tief im Erdreich ausgehobenen Kuppel. Wir stehen auf einem Wattestäbchenteppich.
Sie steht jetzt dicht vor mir, und aus der Nähe nehme ich eine Bewegung an ihrem Oberkörper wahr. Ihr Oberteil ist irgendwie lebendig. Eine unruhige Oberfläche, aus der immer wieder kleine Lichtblitze hervordringen. What the f+++ ist das schon wieder Unheimliches? „What the f+++“ habe ich aus Versehen wohl laut ausgesprochen. Mein fragender Blick dazu lässt sie es mich erklären:
„My moths. Little faithfull moths. Together create large. Préféré top. Hop, hop, hop, my lovely moths.“
Oookayyy? Ein Mottentop? Ja, darf es sonst noch etwas sein? I totally freak gleich aus hier und reiße mir den Pelz vom Körper, oder ich fange zum Nägelkauen an. Habe ich ja jetzt genug davon. Das mit dem Pelz Runterreißen war jetzt nicht meine beste Idee, und glücklicherweise habe ich es nicht laut ausgesprochen.
Jetzt erst merke ich, dass der Boden unter mir nicht nur schneeweiß ist, sondern auch vereinzelt rote, blutgetränkte Wattebauschen herumliegen. Im hinteren Bereich, wo die Kuppel im Dunkeln liegt, verläuft der weiße Watteflur komplett ins Gemetzel Rot-Dunkelrot.
Pft. Licht aus. Pft. Licht an, und ich stehe auch bereits in der eben noch dunklen Ecke. Jetzt hell beleuchtet, parken meine Latschen in knöcheltiefem Blut. An der Wand hängen in Reih und Glied fein säuberlich schwarze, pelzige Pullis, rosarot gepunktet.
Ne, ne, ne, das sind keine rosaroten Punkte. Das sind rosarote Krallen. Kleine Maulwurfärmchen im kuscheligen Maulwurfpelzpullover. Schweißwasser unter meinem Helm. Wohin mit mir? Ich werde hier sterben. Die Irre will mir an den Pelz! Wo ist sie überhaupt?
Sie steht direkt hinter mir. Sie grinst mich an. Haizähne. Spitz, dreieckig, scharf und glänzend wie Rasierklingen. Ihre Monobraue zuckt aufgeregt auf und ab. Ihre Augen leuchten furchteinflößend diabolisch.
Schluck.
Ihren linken Arm hat sie wieder in die Hüfte gestemmt, ihre rechte Hand summt und brummt. Sie hat einen großen, schwarzen Rasierapparat in der Hand. Wie von einem Schafscherer. Am Endstück rotieren die gleichen Zähne wie in ihrem Mund. Dezent Schluck und Schwitz.
Sie hebt den Killerrasierer und skandiert:
„Razor Blade, Razor Blade ...“!
Ich hebe auch meinen rechten Arm und ziehe an dem weißen Knauf. Pft.
Pft. Die Maulwurfzerlegerin ist weg. Pfuh. Wäre ja fast zu einem Albtraum abgedriftet. Fast. Schwitz. Schluck.
Wieder Gleise und eine Eisenbahn-Draisine. Cooles Teil. Mein Fluchtfahrzeug. Ich setze mich darauf und strample gleich los. Pfoah. Im Gegensatz zu der rostigen Lore gut geschmierte kleine Düse. Ich flutsche geschmeidig los und mache schnell Tempo. Ich strample freihändig. Mit meinen riesigen Pratzen muss ich meinen Helm festhalten, so schnell bin ich unterwegs.
Plötzlich tauchen aus dem Tunnelschatten, eine links, eine rechts der Schienen, die Mangatweens auf. Sie grinsen teuflisch. Mimik geht also doch, wenn man mal will. Sie tragen Maulwurfpelzpullis. Ich erkenne trotz meines enormen Tempos die kleinen Ärmelchen mit den rosa Krallen.
Aus dem Nichts steht die Wattestäbchenfrau breitbeinig, wie ein Rammbock mitten auf den Schienen. Monobraue noch tiefer, am tiefsten aller Tiefpunkte. Ihre Haifischzähne blitzen, und der Rasierer brummt mörderisch in ihrer Rechten.
„Razor Blade, Razor Blade ...“!
Scheiß auf den Helm. Ich greife beidhändig auf den Lenker zu den Bremsen. Da sind aber keine.
„No brems, just vitesse!“
brülle ich ihr entgegen. Das muss sie auch verstehen.
„Attention! Passage libre! Passage libre!“
schreie ich noch und fahre in vollem Karacho durch sie hindurch.
Ihr Mottenpulli zerstäubt in tausend einzelne Motten, die wild um mich herumflattern. Ich fuchtle mit meinen Maulwurfarmen, mit meinen rosa Krallen in der Luft herum. Mache meine Augen zu, um mich vor dem hysterischen Flattern und dem Mottengewusel zu schützen.
Das Mottenflügelgeschlage verstummt. Ich öffne meine Augen, und der Mottenschwarm hat sich in einen friedlichen Konfettiregen verwandelt, der seelenruhig auf mich herabschwebt. Meine Draisine steht jetzt still, und ich trage den weißen, kuscheligen Wattestäbchenmantel. Das ist gut so, denn in der Höhle ist es eiskalt geworden.
Das Konfetti ist nicht mehr bunt, sondern weiß. Weiß wie Schneeflocken. Ich öffne meine Krallenhände und lasse den kristallenen Zauber auf meinen Handflächen landen. Sie lösen sich sofort auf. Ich schaue nach oben, öffne meinen Mund und strecke die Zunge heraus.